Der Geruch des Krieges

Was kann die Kunst, was das Leben nicht hinkriegt, besonders bei der Bewältigung von Kriegstraumata? Dieser Frage geht anhand von drei Biografien die israelische Dramatikerin Maya Arad Yasur nach. Sapir Hellers Inszenierung tritt in Heidelberg im Wettbewerb um den Nachspielpreis an. 

Von Verena Großkreutz

3. Mai 2024. Am Ende riecht’s im ganzen Saal nach Dosentomaten und Zuckerwatte. Es ist kein angenehmer Geruch, weil er sich im Laufe des Abends mit Symbolik aufgeladen hat: Mit Zuckerwattenwolken werden Bomben angedeutet, die von Fliegern abgeworfen werden und − unten angekommen − Körper zerfetzen: was durchs Aufklatschen der Tomaten auf den Boden visualisiert wird, die aus Dosen geschüttet werden. In "Bomb. Variationen über Verweigerung", einem Stück der israelischen Schriftstellerin Maya Arad Yasur, geht es schließlich um Krieg, einen namenlosen Krieg. Er könnte überall auf der Welt stattfinden. "Die Welt ist ein Riesenarsch voller Kriegshämorrhoiden", heißt es einmal.

"Bomb. Variationen einer Verweigerung" von Maya Arad Yasur © Stefan Löber

Es geht in "Bomb" vor allem um die Biografien zweier kriegstraumatisierter Kinder und ihr Erwachsensein. Ein Junge und ein Mädchen, die beide zu Künstler:innen werden. Ihre Leben verweben sich im perspektivenreichen Geflecht unterschiedlicher Stimmen miteinander. Die ebenfalls aus Israel stammende, in Deutschland arbeitende Regisseurin Sapir Heller hat in die komplexe Sprachpartitur sehr genau hineingehört und sie dementsprechend präzise am Theater Lübeck auf die Bühne gebracht.

Lama heißt auf Hebräisch "Warum?"

Später stopfen die Darsteller:innen die Tomaten in sich rein oder schmieren sich die Soße auf den Körper, immer wieder schwappen neue Geruchswellen dieser Dosentomaten in den Saal, vermischen sich mit den Ausdünstungen des Zuckerwattenautomats. Im Zentrum der ansonsten requisitenarmen Bühne von Anna van Leen (sieht man einmal ab von übersichtlichen Konservendosenpyramiden und Zuckerwattewäldchen) steht ein weiteres Symbol: ein riesenhaftes Spielzeug-Lama mit lustigen Glotzaugen, geschmückt in der Art der Piñatas, jener bunt gestalteten Figuren aus dem südamerikanischen Raum, die für Kinder mit Süßigkeiten gefüllt werden.

"Lama" bedeutet in der hebräischen Sprache aber auch "Warum?" – was wiederum die klassische Antikriegsfrage ist. Und später wird die knuffige Tierfigur zum Symbol für den Bomber und seine tödliche Fracht umgedeutet: in dem es beritten in die Höhe gezogen wird. Krasse, eindrückliche Bilder hat Sapir Heller gefunden für zerstörte Kindheiten: Das gewohnte Liebgewonnene verwandelt sich in albtraumartigen Schrecken − ob Zuckerwatte, Tomatensauce oder Piñatas.

TL 2022 23 BOMB 05 6216 c Stefan Loeber low res © Stefan Löber

Alles beginnt auf einer Kunstbiennale: eine Künstlerin namens Naomi, wird erzählt, errege dort Aufsehen, weil sie sich ihre Haare ausreiße, sie zu Flügeln forme, die sie dann auf ihren Körper klebe und sich selbst als "Ich bin Ikarus"-Kunstwerk ausstelle. Die sechs Schauspieler:innen entfachen eine Interpretationssuada, in der die Vita der Künstlerin als Erklärungsmuster herangezogen wird. Ihr Vater, ein Panzersoldat, überlebte nur knapp den Bombenangriff eines Piloten namens Eatherly, dem wiederum der Vater eines Jungen (der später zu einem berühmten Fotografen werden wird) zum Opfer fiel, als er Menschen aus einem brennenden Auto retten wollte. Eatherly, der Kriegspilot, wird sich ändern, seine Taten moralisch hinterfragen. Er wird sich später dem Befehl, ein Schulgebäude als angebliches Terroristennest zu bombardieren, verweigern, weil dabei auch Zivilisten getötet werden könnten.

Sphärische Klanglandschaften

Was in comedyhafter Übertreibung beginnt, verdichtet sich immer mehr zur vielstimmigen Erzählung über das Grauen des Krieges. Die Stärke des Abends liegt in der ungemein plastischen, lebendigen, emotional aufrüttelnden Art, wie Astrid Färber, Andreas Hutzel, Samantha Ritzinger, Henning Sembritzki, Vincenz Türpe und Will Workman den Text performen, sich die Bälle zuspielen und in Gruppen choreographiert gestisch agieren − ob sie nun im Takt stampfen und trampeln oder sich in lustigen Flugbewegungen üben.

Und dann ist da noch die Musikerin Rahel Hutter, die am Synthesizer, mit Electronics und Gesang für sphärische Klanglandschaften sorgt – mit überformter, bunter Irokesenfrisur und mit Vorliebe fürs Säuseln lapidarer Silben wie "Blabla" und "Lama". Ist sie Naomi? Wäre möglich.

Möglichkeiten der Kunst

Es geht in "Bomb" auch um die Frage, worin die Kraft der Kunst liegt angesichts solcher politischen und menschlichen Katastrophen. Was kann Kunst, was Realität nicht kann? Zumindest ist sie ja wohl ein legitimes Mittel zur Traumaverarbeitung. Immer wieder stellt jemand im Stück die Frage, "ob das denn jetzt Kunst sei" ¬− zu Beginn noch im Kontext der fiktiven Biennale, dann ans Stück selbst. Interessant, dass sich diese Frage als immer lächerlicher erweist: als Jargon der Kulturschnösel. Aber dass dies wie von selbst geschieht, das ist der formidablen Inszenierung zu verdanken. Keine Frage.

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Bomb. Variationen einer Verweigerung
von Maya Arad Yasur
Deutsch von Matthias Naumann Regie: Sapir Heller, Bühne und Kostüme: Anna van Leen, Musik: Rahel Hutter, Licht: Daniel Thulke, Dramaturgie: Cornelia von Schwerin.
Mit: Astrid Färber, Rahel Hutter, Andreas Hutzel, Samantha Ritzinger, Henning Sembritzki, Vincenz Türpe, Will Workman.
Premiere am 3. Februar 2023 
Uraufführung am 8. Februar 2020 am Schauspiel Köln
Dauer: 1 Stunde 30 Minuten, keine Pause

www.theaterluebeck.de