Autor:innenpreis
Arad Dabiri - DRUCK!
Wien. Plus minus 2023. Nach einem missglückten Deal steht ein junger Mann vor Gericht. Das Urteil: bislang unklar. Seine Geschwister Shirin und Hassan sowie ihre Freunde Omar, Murat und Freddie, WhatsApp-Gruppe "Straßenköter", warten auf die finale Entscheidung – jedoch mit sehr unterschiedlichen Ansichten über mögliche Konsequenzen. Während Shirin die Zukunft des Bruders als zwangsläufige Entwicklung des Widerstands gegen "erwartete Integration" versteht, verbinden sich bei Hassan das Verantwortungsgefühl für eine community und die Kritik an alltäglicher Diskriminierung zu einer Zündschnur, die in einer Demo gegen Rechtspopulismus ihr Ende erreichen soll. In einer feinfühlig präzisen Auseinandersetzung mit systemischer Ungerechtigkeit wird aus dem letzten Deal ein letzter (Rück-)Schlag.
Arad Dabiri wurde 1997 in Wien geboren und studiert Vergleichende Literaturwissenschaft an der Universität Wien. Sein Roman Drama erschien 2023 und wurde als bester Debütroman mit dem Österreichischen Buchpreis ausgezeichnet. Im Rahmen des Drama Lab der Wiener Wortstaetten entstand 2023 sein Werk DRUCK!. Ein Stück, das mit den Vorurteilen und Projektionen der Zuhörer:innen spielt und durch gesetzte sprachliche Verknappungen poetisch-politische Räume öffnet.
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Das Stückporträt: Druck! – Arad Dabiri
Von Falk Schreiber
29. Februar 2024. Man weiß gleich, was Sache ist. "Wien – heute – Zweitausendunddreiundzwanzig" beginnt Arad Dabiris Stück "Druck!". Das ist eine Ansage, weil sich das Stück hier jeglicher künstlerischen Überhöhung verweigert. Es ist aber auch ein Problem, weil es die Übertragbarkeit des Geschehens erschwert: Wenn etwas in Wien stattfindet, ist es womöglich schon in Graz irrelevant? Und 2024 ist auf keinen Fall "heute", wenn die Handlung direkt darauf auf das Jahr "Zweitausendreiundzwanzig" datiert ist. Wobei einen diese Überlegungen schon direkt in das Problemfeld leiten, mit dem "Druck!" hochkreativ spielt. Dabiri beschäftigt sich mit Identitätspolitik. Entsprechend hat er sich in den Zeit- und Ortsangaben bei den Authentizitätsbekundungen des HipHop bedient: Es geht um dort, wo man herkommt, und es geht ums Hier und Jetzt.
"Arad Dabiri wurde 1997 in Wien geboren", steht auf der Website der Wiener Wortstaetten, wo "Druck!" im Rahmen des Drama Lab 2023 entstanden ist, und er "wird auch nicht wegziehen". Er wird nicht wegziehen, das ist eine ähnliche Verbundenheit mit Scholle, wie sie in den Songs von Haftbefehl (das bei ihm immer wieder eingestreute Sample "069" ist die Telefonvorwahl von Frankfurt am Main) oder von badmómzjay ("Ich bin nicht arrogant, du Nutte, ich bin aus Berlin") auftaucht. Wobei solch eine geographische Zuordnung bewusst fragil gehalten ist: Die beschriebenen Rapper:innen haben jeweils einen Migrationshintergrund, ebenso wie Dabiri. Und auch wenn sie ihre Zugehörigkeit zu ihren Wohnorten betonen – wer auf ethnische Homogenität achtet, wird immer behaupten, dass sie nicht hierher passen.
Mitten in der Tristesse
Das ist das Problemfeld, in dem sich Dabiris Protagonist:innen bewegen. Ein junger Mann steht vor Gericht. Noch ist nicht ganz klar, was ihn erwartet, Freispruch oder Bewährung, beides ist möglich. Seine Schwester Shirin ist die Strebsame, sie hat sich angepasst, hat studiert, ist Teil der Gesellschaft geworden, was mit einer (am Ende freilich brüchigen) Ablehnung der iranischen Herkunft einhergeht. "Österreich hat uns alles gegeben", sagt sie, "Also, hier anpassen und besser leben: That’s it." Und Murat, Freddie und Omar sitzen auf einer Bank im Vogelweidpark und kommentieren das Geschehen, ein griechischer Chor "mitten in der Tristesse". Ein Chor, der gar kein echter Chor ist, weil die Probleme von Hassan und Shirin auch die Probleme von Murat, Freddie und Omar sind: die Probleme von jungen Menschen, von denen erwartet wird, dass sie dazugehören. Und die doch nie wirklich dazugehören werden.
Dabei ist die Tristesse gar nicht so stark, wie man denken würde – die Beteiligten nämlich sind vielschichtige Charaktere, mit Humor, mit Reflektionsvermögen, das vor der eigenen Position nicht halt macht. "Vielleicht sollten wir mal wieder runterkommen. Rationaler sein. Es im Kontext sehen", meint Omar über die Gerichtesverhandlung. "Vielleicht einsehen: dass er die Scheiße, für die er reingehen könnte, wirklich gemacht hat." Das sind keine Schwätzer, die angesichts der eigenen Selbstüberschätzung nicht mehr denken können, das sind Typen, denen man zutraut, tatsächlich etwas zu ändern: Irgendwann wird politischer Widerstand gegen Justizwillkür und eine rechts durchsetzte Exekutive organisiert. Nur dass man sie nicht lässt: "Mann, überall dieser Dreck. / Von NSU. / Bis Hanau. / Große Probleme." Von einer zutiefst rassistischen Gesellschaft ist nichts zu erwarten. Und das ist nicht das Problem der Jugendlichen.
MIt dem Sprachflow ins Offene
Dabiri beschreibt das "Leben in einem Spalt": Junge Menschen, die gefangen sind zwischen Abgrenzung und Überidentifikation, junge Menschen, die sich aus dem Spalt befreien möchten, aber immer wieder zurückrutschen. Beziehungswiese zurückgeschubst werden. Die Figur, die sich vielleicht befreien konnte, ist Shirin, aber mal abwarten, wie es ihr so ergeht, als funktionierende Österreicherin. "Als Einzige von allen Figuren weiß sie, was sie will, was sie macht, woher sie kommt, wohin sie geht", beschreibt der Autor ihre Motivation, das ist nicht falsch, vor allem aber macht es die anderen Figuren zu weißen Flächen, die einer Darstellung auf der Bühne viel Raum geben, gefüllt zu werden.
Vorgaben zur Besetzung gibt es dabei wenige. Alle Darsteller:innen sollten PoC sein, wünscht sich Dabiri, aber dass Shirin und Hassan unbedingt von Performer:innen mit iranischem Migrationshintergrund gespielt werden, ist nicht zwingend notwendig, selbst die Geschlechter sind nicht streng festgelegt. Falls da nun fünf weiblich gelesene Darsteller:innen auf der Bühne stehen, falls die beschriebene Liebesgeschichte zwischen Freddie und Shirin eine queere Liebe ist – warum nicht? "Druck!" ist erstmal nur Text, Text, der ziemlich vieles offen lässt und der ziemlich viele Möglichkeiten bietet.
Vor allem ist das Stück Text, der gar nicht so tut, als ob er seine szenische Umsetzung von vornherein mitdenken würde. In den Monologen, selbst in den (sparsamen) Regieanweisung nimmt er lyrische Formen an, wird rhythmisiert, mäandert im Bildhaften. Das ist Rap, ohne Rap zu sein, ein Sprachflow, der mal spielerisch ist und dann wieder nüchtern und genau. Vielleicht sogar, mit Blick auf eine Dramatik zwischen Berhard und Jelinek: typisch österreichisch. Im Spalt zwischen Teheran und Wien.