Schönheit der Zungenbrecher

Raphaela Bardutzkys "Fischer Fritz" konkurrierte 2021 um den Autor:innenpreis des Stückemarkts. Seitdem wurde das Stück über den pflegebedürftigen Fritz und seine polnische Pflegerin Piotra mehrmals nachgespielt. David Böschs Inszenierung vom Landestheater Linz schaut genau auf diese Figuren, ihre Sprache und gastierte jetzt im Nachspiel-Wettbewerb.

Von Georg Kasch

4. Mai 2024. Wenn Fischers Fritz keine Fische mehr fängt, dann könnte das daran liegen, dass er einen Schlaganfall hatte und auch darüber hinaus eine lange Liste an Krankheitssymptomen zusammenbringt: "Niereninsuffizienz im Stadium der kompensierten Retention, beidseitige Gonarthrose, Coxarthrose rechts, Hüft-TEP links", wie es eingangs heißt. Also engagiert Sohn Franz die polnische Pflegerin Piotra, die sich mit Vokabelkarten im Gepäck nach Bayern quält, wo sie mit Fritz – Lebensmotto "Zu einem Fluss gehört auch ein Fischer" – eine Wohngemeinschaft auf Zeit mit kleineren Konflikten und noch kleineren Freuden erlebt.

Raphaela Bardutzkys "Fischer Fritz" in der Inszenierung von David Bösch im Wettbewerb um den Nachspielpreis © Herwig Prammer

Wenig geschieht: Alltag, Reibereien, Sehnsüchte. Dennoch war "Fischer Fritz" 2021 für den Heidelberger Stückemarkt nominiert, erhielt beim Förderpreis für Neue Dramatik an den Münchner Kammerspielen den Publikumspreis und wurde 2022 als Produktion des Schauspiel Leipzig bei den Autor:innentheatertagen am Deutschen Theater Berlin uraufgeführt. Inszenierungen in Graz, Linz, Göttingen, Kaiserslautern sowie eine Hörspielfassung im BR folgten.

Im Kommunikations-Labyrinth

Warum? Theater bekommen zwei Texte in einem: Volksstück und Sprachkunstwerk. Raphaela Bardutzky versieht eine einfache Geschichte mit menschlicher Tiefe – und mit einer faszinierenden Form, in der die drei Spieler:innen zugleich wortreiche Erzählende ihrer Innenperspektiven sind und eher wortkarg Handelnde. Außerdem knackt und hüpft und jubiliert die Sprache entlang der variierten Sprichwörter, der Übersetzungserkundungen Polnisch-Deutsch und Alliterationen.

Wie sehr das gut geht, beweist David Böschs Linzer Nachinszenierung. Bereits 2023 zeigte der Regisseur mit dem Wien-Gastspiel von Lisa Wentz' "Adern" ein beeindruckendes Gespür für lebendige, widersprüchliche Figuren. Nun erzählt er erneut vom Leben auf dem Land. Zunächst lässt er seine drei Spielenden vor dem roten Samtvorhang stehen. Erst bei Piotras Ankunft in Bayern gibt er den Blick frei auf einen Zimmerkasten, den Patrick Bannwart schön hässlich ausstaffiert hat: über die Jahrzehnte verdreckte Wände, spärlich-funktionales Mobiliar, ein alter Fernseher. Hauptsache, das Kruzifix hängt gerade. Über die Rückwand flimmern Piotras (von Bardutzky so notierte) Chatverläufe, auch Bilder von Piotras Urlaubsträumen.

fischers fritz hp0 Herwig PRAMMER P5 1341 low resSelfie in der deutsch-polnischen Wohngemeinschaft auf Zeit: Daniel Klausner, Nele Christoph, Lutz Zeidler in "Fischer Fritz" © Herwig Prammer

Es ist Fritz‘ kleine Welt, quadratisch, praktisch, unwirtlich. Piotra muss sich mit Matratze und Bettzeug vor den Kasten legen. Bald aber entsteht eine meist wortlose Spannung zwischen den beiden, wenn sie das Zimmer zu putzen beginnt, er sie skeptisch beäugt, sie die von ihm indizierten Mängel beseitigt, er zufrieden schaut. Wenn sie ihm die Fußnägel schneidet, greift Nele Christoph zu Plastikstreifen und Knipser und lässt die kleinen Stückchen Richtung Parkett fliegen, während Lutz Zeidler zusammenzuckt.

Selbstbestimmtes Leben

Schön, wie viel Luft die Figuren zum Atmen bekommen, wie langsam die Zeit vergehen darf, ohne je stillzustehen, selbst dann nicht, als Fritz stürzt und stirbt. Wir schauen ihnen beim Denken zu, beim Hadern, Zweifeln, Lieben, hören von Fritz‘ Verzweiflung über die steigenden Temperaturen (die Klimakatastrophe gefährdet die Fische), Franz' Fremdheitserfahrungen, weil er seinen eigenen Weg ging, Piotras Einsamkeit, die sie sich mit ihrer Chat-Romanze zu vertreiben sucht. Ihr und ihrem Busfahrer gönnt Bösch zu Karsten Riedels zarter Version von David Bowies "Mayor Tom" eine Begegnung im All.

Das bleibt die größte szenische Extravaganz. Bösch birgt aus dem Text kleine Gesten, zarte Momente, genaue Bilder (etwa wenn Daniel Klausner anhand des umgestürzten Rollators Fritz‘ Vitalfunktionen prüft). Und gerade dann, wenn man es kaum noch erwartet, lassen die Figuren ihre Emotionen durchblicken.

Was bleibt? Die Freude bei einer Partie Rummicub. Der Geschmack einer gut zubereiteten Brachse. Die Sehnsucht nach einem selbstbestimmteren Leben. Und die Schönheit einer Sprache, die all das zu fassen weiß.

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Fischer Fritz
von Raphaela Bardutzky
Regie: David Bösch, Bühne: Patrick Bannwart, Kostüme: Moana Stemberger, Musik: Karsten Riedel, Dramaturgie: Andreas Erdmann.
Mit: Nele Christoph, Daniel Klausner, Lutz Zeidler.
Premiere am 15. September 2023
Dauer: 1 Stunde 50 Minuten, keine Pause

www.landestheater-linz.at