Zeit zu glänzen?

1. Mai 2024. In einer Gameshow treten acht Kandidat:innen gegeneinander an. Wer wird gewinnen? Diese Frage ist in "Time to Shine" von Takao Baba und dem Ensemble gar nicht entscheidend. Denn der Wettbewerb ist unterwandert… 

Von Elena Philipp

"Time to Shine" von Takao Baba und Ensemble.© David Baltzer

Was wird sich in deinem Leben verändern, wenn du hier gewinnst? Jede Kandidatin, jeder Kandidat der Gameshow "Time to Shine" wird das vom Moderations-Duo gefragt. Jeremy (Jonathan Gyles) würde das erste TikTok-Video auf dem Mond drehen. Cat2 (Elisa Berrod) wünscht sich die Pässe aller Länder, um frei reisen zu können. Sana (Sarena Bockers) möchte, dass alle toxischen Menschen erleuchtet werden. Und Ty-Ming (Bounracksa Phomkoumphon) träumt von einer hungerfreien Welt – "all you can eat für alle!". Mit Siegesgewissheit aufgepumpt springen die Kandidat:innen auf die Bühne, wenn sie von Lou (Yulia Yáñez Schmidt) und Law (Rafael¬-Evitan Grombelka) dazu aufgefordert werden. Der Jingle dröhnt aus den Boxen im Alten Saal des Heidelberger Theaters, die Lichter schwenken bunt über die vorwiegend jungen Besucher:innen. Dieses TV-Format kennt man. Let’s go!

Doch halt: Worum geht es hier eigentlich? Um Selbstoptimierung, um Weltverbesserung? Oder gar um: schamlose Produktplatzierung? Lou und Law wirken sympathisch, sind aber offenbar gekauft – von Beginn an loben sie Lee Industries: "LEE-Learning, LEE-Stressless, LEE-Life-Quality", schmettert Yulia Yáñez Schmidt, während Rafael¬-Evitan Grombelka die Gebärde für "Shine" riesig groß zieht. Die Kandidat:innen, die in Tanzbattles gegeneinander antreten oder für Quizformate Teams bilden, müssen Likes sammeln. Im Publikum gibt es Bewegung und Shout-outs für einzelne Kandidat:innen, es wird mitgefiebert, aber zu melden haben die Besucher:innen nichts. Wie die Kandidat:innen abgeschnitten haben, berechnet angeblich ein Computer, und das Ergebnis wird sofort in einer Tabelle über der Spielfläche projiziert.

Ein Game, bei dem niemand ausscheidet?

Stress! Ist das Life Quality? Das hinterfragt hier niemand wirklich, nicht die Teilnehmenden, aber auch nicht die Regie oder Dramaturgie – wer in Gameshows antritt, hat ja gelegentlich den Gewinn monetär nötig oder ist auf die Aufmerksamkeit angewiesen, die wiederum Jobs generiert. Vielsagend, dass die Moderator:innen weiß sind, insbesondere die männlich gelesenen Kandidat:innen aber PoC sind?

Junges Schauspiel Time to Shine Foto David Baltzer HP0939A 2 low resEin Spiel um Leben und Tod? – Die App LEE-Life-Quality jedenfalls verrät, wie lange unser Game of Life noch geht. © David Baltzer

Jedenfalls ist von vornherein schon alles klar in diesem knallig aufgepimpten vermeintlichen Wettbewerb, in dem konzeptionell Vibes der "Tribute von Panem" und von "Squid Game" mitschwingen, aber niemand ausscheidet. Promotet wird die neue KI von Lee Industries, deren Gründer Mr. Lee (Eduard Lind) mit moderiert und (erstaunlich versiert!) tanzt. LEE-Life-Quality macht das Leben effizienter, verkünden die Moderator:innen, denn die App kann berechnen, wie lang jemand noch lebt. Das ist der Kern der Show und nicht der Wunsch von 500 (Dodzi Dougban), der, als einziger Tauber Tänzer der Produktion, gemeinsam mit Rafael-Evitan Grombelka seinen Traum einer Insel, auf der nur Taube Menschen leben dürfen, vortanzt. Digital wird die Flagge dieser Community gehisst, für Zuschauer:innen, die Gebärdensprache nicht beherrschen, bleibt die Utopie unverständlich – ein schöner Regiekniff von Takao Baba, der die für taube Theaterbesucher:innen alltägliche Situation des Nichtverstehens umkehrt.

Als die Zeit abgelaufen ist, passiert …

Insgesamt aber will die Inszenierung etwas viel auf einmal. Empowerment und Sichtbarkeit sollen eine Rolle spielen, wenn Mitglieder von Tanzcommunities, darunter der Krumper Solomon Quaynoo oder der B-Boy Dodzi Dougban, auftreten. Lou verrät, dass Lee Industries online Daten saugt, um die Künstliche Intelligenz zu trainieren – ein absolut wichtiger, aber recht unvermittelter didaktischer Einwand gegen das WWW. Und dann gibt es noch "Hero", den neunten Teilnehmer der Show, der nie auftritt. Bis zum Schluss, als die KI den Kandidat:innen ihre verbleibende Lebenszeit errechnet und für Cat2 den Tod noch während der Gameshow verkündet. Verzweifelt performt Elisa Berrod ein fünfminütiges Abschiedssolo. Als ihre Zeit abgelaufen ist, der Timer auf 00:00 steht, passiert – nichts.

Stattdessen wird ein Video von Zinenuba Fayiri aka Hero eingeblendet. Auf der Inszenierungsebene könnte er an ihrer statt in den Tod gegangen sein. Im realen Leben war der Krump-Tänzer ein Freund von Choreograf und Regisseur Takao Baba und hätte fast zum Cast von "Time to Shine" gehört. Während der Vorbereitungszeit der Produktion ist Zinenuba Fayiri gestorben. Ihm ist die Show gewidmet – eine schöne Geste, die aber im Durcheinander des Schlusses verpufft.

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Time to Shine
Von Takao Baba und Ensemble
Regie und Choreografie: Takao Baba, Bühne: Martina Lebert, Musik und Video: Riccardo Castagnola, Kostüme: Martina Lebert, Alyssa Töller, Licht: Christian Schmidt , Dramaturgie: Kirstin Hess, Übersetzung der Moderation in DGS: Rafael-¬Evitan Grombelka, Aesthetics of Access: Ben Glover, Theaterpädagogik: Lena Hilberger, Ilka Zänger, Produktionsberatung: Access Maker by Un¬Label.
Mit: Elisa Berrod, Sarena Bockers, Dodzi Dougban, Rafael¬-Evitan Grombelka, Jonathan Gyles, Natalie Hanslik, Eduard Lind, Bounracksa Phomkoumphon, Solomon Quaynoo, Yulia Yáñez Schmidt, Valentin Schwerdfeger. Im Video: Hero aka Zinenuba Fayiri.
Uraufführung am 10. September 2023
Dauer: 1 Stunde 15 Minuten, keine Pause

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