Gastspiel Schauspielhaus Düsseldorf – My Private Jesus
"Verschwendung ist immer geil!"
Pi will sterben und erfüllt den ihr Nächststehenden zum Abschied ihre Wünsche. Was dabei herauskommt, ist allerdings etwas anders, als gedacht. Lea Ruckpaul hat ein böse funkelndes wie witziges Stück geschrieben, Bernadette Sonnenbichler die Uraufführung inszeniert.
von Georg Kasch
29. April 2024. Man sollte sich genau überlegen, was man wünscht – es könnte wahr werden. So wie in Lea Ruckpauls Stück "My Private Jesus": Pi will sterben; warum, wird nicht recht klar. Für die Personen in ihrer Nähe aber hat sie ein Kompensationsangebot, vorgeblich, um einander vor ihrem Tod näher zu kommen und ihren Schmerz zu lindern: einen freien Wunsch, was es auch sei. Was sie nicht sagt: wie deutlich oder undeutlich er auch geäußert wird.
Ungeheuerliche Taten
Ein wenig wirkt "My Private Jesus", als hätte Ruckpaul die Grundidee aus Thomas Glavinic‘ Roman "Das Leben der Wünsche" (alles, was der Protagonist begehrt, bewusst oder unbewusst, wird Realität) mit Motiven aus Friedrich Dürrenmatts "Der Besuch der alten Dame" vermischt: Lehnen alle zu Beginn das Angebot ab, protestieren gegen den geplanten Suizid wie gegen die Abschiedsgeste, kommen sie dann doch nach und nach, um Pi zu ihrem Privat-Jesus zu machen, der die Schuld der anderen auf sich nimmt.
Infolge schlägt Pi für die Freundin einen Nazi zusammen, tötet für die Mutter deren aufbrausende Schwiegermutter, entschädigt für den Vater dessen Missbrauchsopfer, ihre einstige Grundschulfreundin Ewa. Und so weiter. Diese ungeheuerlichen Taten lösen in den derart Beschenkten Ungeheuerliches aus, weil sich dadurch ihre Abgründe nach außen kehren. Klar, dass so ein Sündenbock nicht einfach weiterleben kann, sondern vertrieben oder getötet werden muss.
Tolles Schauspielfutter
Das klingt jetzt alles schwerer, als es bei Ruckpaul ist – und erst recht in Bernadette Sonnenbichlers Inszenierung vom Düsseldorfer Schauspielhaus. Anna Brandstätter hat einen die Bühne füllenden Trichter aus Holzlatten gebaut, halb Arena, halb Tiegel, dessen Wände die Spielenden in ihren grotesk ausufernden Kostümen hochklettern oder herabrutschen. Unten sitzt Pi wie die Spinne im Netz und muss nicht lange darauf warten, dass die anderen sich ihr offenbaren. Ob schweigender Vater, schwallender Ex oder der gierige Bruder – alle kommen sie und entledigen sich ihrer Kostüm-Panzer, laden also auch auf der Bildebene ihre Schuld ab.
Ruckpaul hat als Schauspielerin bereits Stückemarkt-Erfahrung: 2012 war sie als Isa in Jan Gehlers Dresdner "Tschick"-Uraufführung dabei. Jetzt ist sie mit ihrem Dramen-Erstling zurück. Man merkt ihm die Theatertauglichkeit an: Dialoge voll Tempo und Pointen, die erst allmählich enthüllen, worum es eigentlich geht. Auch, wenn die Themen und Motive manchmal etwas wild durcheinanderzucken und die Schwere des Missbrauchs das Stück in der Mitte zu erdrücken droht: Ruckpaul hat hier tolles Schauspiel-Futter geschrieben, das ihre Düsseldorfer Kolleg*innen dankbar verwandeln.
Blanka Winkler leuchtet als herrlich undurchsichtige Pi rätselhaft aus dem Innern. Wolfgang Michalek, Friederike Wagner und Florian Claudius Steffens spitzen die selbstsüchtige Familie zu, Sophie Stockinger und Sebastian Tessenow die vermeintlichen Freund*innen. Das ist auch deshalb so komisch, weil diese scharf gezeichneten Typen uns trotz ihrer grotesken Verzerrung ähnlich sehen in ihrer Unlust, sich den eigenen Abgründen zu stellen. Dass es hier weniger um individuelle als um gesellschaftliche Sünden geht, deutet der Kinderchor an, der vom Band spricht und singt: "Verschwendung ist immer geil."
Resilient werden!
Wie kommt man da wieder raus? Es ist Ewa, die einst missbrauchte, nun finanziell "entschädigte" Kindheitsfreundin, die Marie Dziomber in freundlicher Klarheit skizziert (und zwar derart überzeugend, dass man nicht auf die Idee käme, sie sei kurzfristig eingesprungen, wenn man es nicht wüsste). Sie ist die einzige, die sich von Pi wünscht, sich nicht umzubringen. Und die einen Weg weist, den keiner der anderen bereit zu gehen ist: die Glut (der Wut) erkalten zu lassen, eine Kruste zu bilden. Heißt: Resilient werden, Überlebensstrategien entwickeln, seinen Frieden machen. Das Leben ist zu kurz, um es sich von anderen zerstören zu lassen.
von Lea Ruckpaul, nach einer Idee von Eike Weinreich
Regie: Bernadette Sonnenbichler, Bühne und Kostüm: Anna Brandstätter, Musik: Cico Beck, Licht: Thomas Krammer, Dramaturgie: Dorle Trachternach.
Mit: Blanka Winkler, Friederike Wagner, Florian Claudius Steffens, Sophie Stockinger, Wolfgang Michalek, Sebastian Tessenow, Marie Dziomber.
Uraufführung am 27. Mai 2023
Dauer: 1 Stunde 45 Minuten, keine Pause
www.dhaus.de
Programm
Zwinger 1
Theater und Orchester Heidelberg
Blaupause
Regie: Hannah Frauenrath
Zwinger 3
Deutschsprachiger Autor:innenwettbewerb I
13:30 Uhr
Die ersten hundert Tage von Lars Werner
14:30 Uhr
Brennendes Haus von Anaïs Clerc
16:00 Uhr
2x241 Titel doppelt so gut wie Martin Kippenberger von Frankfurter Hauptschule
Zwinger 1
Gastspiel Lichthoftheater Hamburg
JUDEN JUDEN JUDEN
von und mit Hamburger Jüd*innen und Texten von Simoné Goldschmidt-Lechner
Regie: Ron Zimmering und Dror Aloni
Uraufführung
Marguerre-Saal
Gastspiel Düsseldorfer Schauspielhaus
My Private Jesus
von Lea Ruckpaul
nach einer Idee von Eike Weinreich
Regie: Bernadette Sonnenbichler
Uraufführung
Alter Saal
Stückemarktparty
präsentiert von Zwinger x
Rahmenprogramm
Eintritt frei
Zwinger 3 und online
Deutschsprachiger Autor:innenwettbewerb Teil II
13:30 Uhr
Ghostbike von Julie Gurgonis
14:30 Uhr
DRUCK! von Arad Dabiri
16:00 Uhr
Kind aus Seide von Leonie Ziem
Gastspiel Theaterhaus Jena
Die Hundekotatacke
von Walter Bart, Hannah Baumann, Pina Bergemann, Nikita Buldyrski, Henrike Commichau, Linde Dercon, Leon Pfanenmüller, Anna K. Seidel / Wunderbaum
Regie: Walter Bart
Uraufführung
Alter Saal
Gastspiel Schauspielhaus Wien
Die vielen Stimmen meines Bruders
Es Stück für an- und abwesende Körper
von Magdalena Schrefel mit Valentin Schuster
Regie: Marie Bues und Anouschka Trocker
Uraufführung
Zwinger 3
Gastspiel Theater Bielefeld
else (someone)
von Carina Sophie Eberle
Regie: Nadja Loschky
Zwinger 1
Theater und Orchester Heidelberg
Blaupause
Regie: Hannah Frauenrath
Alter Saal
Gastspiel Junges Schauspiel – Düsseldorfer Schauspielhaus
Time to Shine
Tanz und Theaterspektakel von Takao Baba + Ensemble
Inszenierung für schwerhörige und taube Menschen
Marguerre-Saal
Gastspiel Schauspiel Stuttgart
forecast:oedipus
von Thomas Köck
Regie: Stefan Pucher
Uraufführung
Zwinger 3
Gastspiel Expanded Theater | Hochschule der Künste, Bern
FRONTSTAGE
Männlichkeit zwischen Spiel und Krieg
von und mit Polina Solotowizki, Bogdan Kapon und Ivan Borisov
Regie: Polina Solotowizki
Uraufführung
Alter Saal
Gastspiel Flinn Works (Berlin) & Asedeva (Dar es Salam)
von Ultimate Safai
Regie: Ultimate Safari
Deutsch / Englisch / Kisuaheli
Uraufführung
Alter Saal
Gastspiel Flinn Works (Berlin) & Asedeva (Dar es Salam)
von Ultimate Safai
Regie: Ultimate Safari
Deutsch / Englisch / Kisuaheli
Uraufführung
Zwinger 1
Gastspiel Theater Konstanz
Tragödienbastard
von Ewe Benbenek
Regie: Emel Aydoğdu
Marguerre-Saal
Gastspiel Schauspiel Hannover
Fremd
von Michel Friedmann
Regie: Stefan Kimming
Uraufführung
Zwinger 3
Theater und Orchester Heidelberg
Das Märchen von der kleinen Meerjungfrau 10+
sehr frei nach Hans-Christian Andersen von Roland Schimmelpfennig
Regie: Marcel Kohler
Mülheimer Kinderstückepreis 2023
Alter Saal
Gastspiel Theater Lübeck
BOMB
von Maya Arad Yasur
Regie: Sapir Heller
Zwinger 3
Gastspiel Turbo Pascal, Berlin
Common Things
von Angela Löer, Eva Plischke und Frank Oberhäußer
Regie: Angela Löer, Eva Plischke und Frank Oberhäußer
Uraufführung
Zwinger 1
Gastspiel Schauburg München
Erik*a 15+
mit Texten von Theresa Seraphin
Regie: Daniel Pfluger und Lukas März
Alter Saal
Gastspiel Landestheater Linz
Fischer Fritz
Regie: David Bösch
Marguerre- Saal
Gastspiel Schaubühne Berlin
In Memory of Doris Bither
von Yana Thönnes
Regie: Yana Thönnes
Uraufführung
Alter Saal
Stückemarktparty
mit Musik aus dem Gastland Georgien
Eintritt frei
Sprechzimmer
Gastspiel Laboratory of Perfoming Arts, Tblissi
Zwilinge
von Giorgi Maisuradze
Regie: Giorgi Maisuradze
Gergisch mit deutschen Übertiteln
Zwinger 3
Eröffnung Gastland-Programm Georgien
Zwinger 3
Internationaler Autor:innenwettbewerb
13:30 Uhr Der weiße Hund von Davit Khorbaladze
14:30 Uhr Terzett von Marita Liparteliani
16:00 Uhr Wer klopft von Alex Chigvinadze
Dezernat #16
Gastspiel Open Space, Tblissi
Greenhouse
von Gvantsa Enukidze, Tamara Chumashvili und Masho Makshvili
Georgisch mit deutschen Untertiteln
Alter Saal
Gastspiel Royal District Theatre, Tblissi
Medea s01e06
von Paata Tsikola
Regie: Paata Tsikola
Georgisch mit deutschen Übertiteln
Sprechzimmer
Theater in Georgien
u.a mit Gastland Kurator Davit Gabunia
Podiumsgespräch
Eintritt frei
Dezernat #16
Gastspiel Open Space, Tblissi
Greenhouse
von Gvantsa Enukidze, Tamara Chumashvili, Masho Makshvili und Elene Matskhonashvili
Georgisch mit deutschen Untertiteln
Zwinger 1
Gastspiel Georgian Regional Theatre Networks
Niko Nikoladze - Sergo Parajanov
von Elene Matskhonashvili, Tengiz Khukhia und Levan Khetaguri
Regie: Elene Matskhonashvili
Georgisch nmit deutschen Übertriteln
Marguerre-Saal
Gastspiel Deutsches Schauspielhaus Hamburg
Antropolis II: Laios
von Roland Schimmelpfennig
Regie: Karin Beier
Uraufführung
Alter Saal
Preisverleihung
Eintritt frei
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