Land, Mensch, Tier

2. Mai 2024. Giraffen, Affen, Nilpferde – in der Welt des Tierfilmers Bernhard Grzimek war der Serengeti Nationalpark ein Reich der Tiere. Dass hier auch Menschen wie die Massai leben, deren Lebensraum zunehmend von Safari-Tourist:innen eingeschränkt wird, kam in diesem "Afrika-Bild" nicht vor. Flinn Works und Asedeva machen sich in "Ultimate Safari" auf die Suche nach der komplexen Gemengelage postkolonialer Konflikte.

Von Georg Kasch

"Ultimate Safari" von Flinn Works & Asedeva. © Alexander Barta

Neulich erst ging die Meldung über die Elefanten aus Botswana durch die Nachrichten: 20.000 von ihnen wollte das südafrikanische Land nach Deutschland schicken, um die Bundesregierung daran zu hindern, die Einfuhr von Jagdtrophäen einzuschränken. Denn Botswana hat zu viele Elefanten, es gibt Gebietskonflikte mit den Menschen. Zudem ist die Trophäenjagd eine wichtige Einnahmequelle.

Den Konflikt um Land, Menschen, Wildtiere und die sehr unterschiedlichen Perspektiven von Mitteleuropäer:innen und den Menschen vor Ort umreißen auch Flinn Works in Zusammenarbeit mit Asedeva in "Ultimate Safari". Und zwar anhand eines Lieblingssehnsuchtsorts der Deutschen: dem Serengeti Nationalpark in Tansania. Bekannt ist er bei uns vor allem dank Bernhard Grzimek und seinem Film "Serengeti darf nicht sterben" von 1959.

Gerüche von Gebratenem und frischem Kaffee

Dafür hat Flinn Works beim Heidelberg-Gastspiel den Alten Saal leergeräumt. Drinnen sitzen wir auf Safari-Hockern und ziehen uns immer mal wieder VR-Brillen auf, um zunächst die Savanne und ihre Tierwelt aus den Augen der Safari-Tourist:innen zu erleben: Giraffen, Affen, Nilpferde. Dazu gibt’s Gerüche von Gebratenem und frischem Kaffee, der dann auch gereicht wird (für die Touris werden mobile Espresso-Stationen durch die Serengeti gekarrt, während die Einheimischen den typischen Instantkaffee trinken). Manchmal weht ein kühler Wind, einmal sprüht einem Nieselregen ins Gesicht. Selten wirkten VR-Brillen im Theater so produktiv und zugleich so sinnlich!

Das ist toll gemacht von Regisseurin Sophia Stepf und dient natürlich dem Ziel, sich einzugrooven in die Safari-Romantik. Wer Flinn-Works-Arbeiten kennt, weiß, dass es von hier aus nicht mehr weit ist bis zu den moralischen Untiefen und kaum lösbaren globalen Konflikten. Entsprechend kommen die drei Performer:innen Isack Abeneko, Happiness Majige und Konradin Kunze (der 2011 mit "foreign angst“ Teilnehmer des Heidelberger Autor:innen-Wettbewerbs war) bald zum Kern: Die Massai sind die angestammten Bewohner:innen der Region, sollen jetzt aber umgesiedelt werden, weil ihr Bedarf an Lebensraum parallel zur wachsenden Bevölkerung steigt – und immer öfter mit dem Nationalpark in Konflikt gerät. Bei der letzten Umsiedlung, so erfahren wir auf Deutsch und Englisch, waren ihnen Schulen, Krankenversorgung, Weideflächen versprochen worden. Nichts davon hat sich eingelöst. Entsprechend groß ist der Protest. Ihre Bitte an uns, vorgetragen von Laibor Moko: Boykottiert die Safaris in der Serengeti und macht Druck auf eure Politik – denn diese ist an der Situation nicht ganz unschuldig.

Flinn Works Ultimate Safari credit Flinn Works 1 KopieAm Anfang steht das immersive Eintauchen in die Welt der Safari-Tourist:innen. © Flinn Works

Was ist mehr wert: der Schutz von Wildtieren im Nationalpark oder das Heimatrecht der Massai? Diese Frage erweist sich als ein Teil eines Komplexes, bei dem neokoloniale und wirtschaftliche Interessen eine Rolle spielen, die UNESCO und der WWF, der tansanische Präsident und Deutschland: Sechs Millionen Euro zahlen wir, um in Tansania Konflikte zwischen Tieren und Menschen zu lösen. Ist es gerecht, dass die (offenen) Nationalparkgrenzen mit Waffengewalt bewacht und versprengte Weidetiere der Massai konfisziert werden? Und überhaupt: Welche Interessen stehen im Konzept des Nationalparks an erster Stelle? Die der Wildtiere oder die des Tourismus, also des Geldes?

Immer wieder begreift man, wie tief die Spuren sind, die der Kolonialismus (hier insbesondere auch der deutsche) ins Land gefurcht hat, wie viele Probleme und Auseinandersetzung heute unlösbar scheinen, weil einst Entscheidungen getroffen wurden, ohne die Menschen und die Natur vor Ort mitzudenken. Spuren, die vertieft wurden von Menschen wie Grzimek, der Wildparks als menschenleere "conservation areas" skizzierte.

Glotzt nicht so romantisch. Recherchiert!

Anders als "forecast:ödipus", Thomas Köcks ebenfalls in Heidelberg gezeigter Klimakrimi im Gewand einer antiken Tragödie, entlassen uns Flinn Works und das tansanische Kollektiv Asedeva nicht mit einer Lösung, eher mit einer produktiven Verwirrung und dem Gefühl, mehr recherchieren, mehr wissen zu müssen. Denn an welchem Rad man auch immer dreht: Die Folgen sind schwer absehbar, wie die Geschichte zeigt. Entsprechend unerlöst verlässt man das Theater. Bertolt Brecht mit seinem romantischen Glotzverbot wäre vermutlich sehr einverstanden damit.

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Ultimate Safari
von Flinn Works in Zusammenarbeit mit Asedeva
Künstlerische Leitung: Konradin Kunze, Regie: Sophia Stepf, Künstlerische Mitarbeit: Alexandra Hernández Ceaicovscaia, Ausstattung: Lea Dietrich, Video/VR: Jürgen Salzmann, Choreografie: Isack Abeneko, Sounddesign: Andi Otto, Licht: Susana Alonso.
Mit: Isack Abeneko, Konradin Kunze, Happiness Majige und als Experte Laibor Moko.
Premiere am 29. Juni 2023
Dauer: 1 Stunde 35 Minuten, keine Pause

www.td.berlin