Gastland Georgien – Greenhouse | Zwillinge
Wege in eine andere Politik?
Der Gastland-Schwerpunkt Georgien wurde eröffnet. Weil in der Hauptstadt Tblissi seit Tagen Massendemonstrationen gegen die prorussische Regierung stattfinden, läuft die Politik bei den Gastspielen als Bedeutungsspur immer mit. Hier: zwei Performances, die sich mit der Rolle der Frau in der georgischen Gesellschaft befassen: "Greenhouse" und "Zwillinge".
Von Georg Kasch
5. Mai 2024. Wovon auch immer die georgischen Stücke und Produktionen erzählen, die zum 41. Heidelberger Stückemarkt eingeladen wurden – die Realpolitik ist immer dabei. Bei jedem Schlussapplaus zieht jemand eine georgische und eine EU-Flagge hervor oder hält – wie im Fall von "Greenhouse" – eine Schrifttafel hoch: "No To Russian Law". Denn die aktuelle prorussische Regierung des Landes versucht mit allen Mitteln, mit dem von Russland inspirierten Gesetz gegen "ausländische Einflussnahme" die Opposition vor den Parlamentswahlen im Herbst in den Schwitzkasten zu nehmen. Putin freut das, hunderttausende Demonstrierende in der Hauptstadt Tiflis nicht.
Durch diese Brille liest man auch die Produktionen des Gastlandprogramms. Etwa "Greenhouse", eine einstündige Performance in einer ehemaligen Industriehalle. Drei Frauen in beigen Trikots liegen in einem Meer aus Baumwolle, das nach hinten hin ansteigt. Drüber öffnet sich eine (projizierte) Mohnblüte. In Monologen, Liedern, eingeblendeten Aufnahmen setzt sich allmählich ein Frauenbild Georgiens zusammen zwischen Heimchen am Herd und Utopie: Zeigen sich die einen stolz auf perfekte Fingernägel trotz Haushalt, machen die anderen, was sie wollen – und die dritten leiden unter der finanziellen Abhängigkeit.
Hypnotische Stimmung
Zusammen hält den Abend die Legende von Anana, die magische Kräfte besitzt. Wenn andere Frauen versuchen, Ananas übermenschliche Fähigkeiten nachzuahmen, scheitern sie tödlich. So rennen auch die Hausfrauen einem Idealbild nach, das die kaum erfüllen können. Die Lösung? Eine Gesellschaft jenseits der Geschlechter, gewalt- und dominanzfrei.
Beeindruckend ist dabei, wie hier Bild und Klang eine psychedelische, manchmal auch hypnotische Stimmung erzeugen. Ana Gzirishvilis Videoprojektionen pulsieren über dem Geschehen, lassen giftige Fäden wuchern; über die Ränder ziehen sich verzerrte Haushaltsgegenstände und Lava. Oft wirken die Bilder gespenstisch dreidimensional. Dazu schafft Gabiskiriamalias Musik einen sehr eigenen Soundtrack aus satt schleppenden Rhythmen, zu dem die drei Performerinnen singen, während sie sich in der Wolle wälzen.
Fragen nach der Rolle der Frau
Muss man sich die Zusammenhänge hier mühsam im audiovisuellen Overkill zusammensuchen, kriegt man sie in "Zwillinge" auf dem Silbertablett geliefert. Denn Giorgi Maisuradzes halbstündiger Monolog entfaltet geradlinig seine Geschichte: Eine arme Frau entdeckt ihre Sexualität in der Kirche (sphärisch schwelgt dazu die Chormusik) und wird von einem ebenfalls auf die Beichte Wartenden schwanger. Dessen Rede von den Kindern als Geschenk Gottes reimt sie sich so zusammen, dass Gott nicht nur deren eigentlicher Vater ist, sondern sie ihr auch als materiellen Wert gibt, als Handelsobjekt. Also verkauft sie ihre Kinder, um zu überleben.
Wenn Sophio Zeragia mit einem Bündel im Arm die schmale Bühne im Sprechzimmer betritt, wo sonst die Nachgespräche und Diskussionen stattfinden, wirkt sie wie eine leicht verstrahlte junge Frau. Angeblich sind im Bündel Zwillinge, die sie im Müll geborgen hat. Erst allmählich begreift man, wie sonderbar ihr Blick auf die Welt, auf Gott, auf Sexualität ist. Und wie abgründig ihre Geschichte. Denn als ihr nach vielen Schwangerschaften und Kindsverkäufen ein Arzt sagt, dass die jüngste schwere Geburt die letzte sein wird, entschließt sie sich, trotz des Verkaufsgebots ihren Sohn zu behalten. Natürlich stirbt er. Die Zwillinge aus dem Müll begreift sie als Ersatz. Ein Gottesgeschenk? Eine Illusion? Das Tuch jedenfalls, das sie wie ein Bündel mit sich herumträgt auf dem kleinen Treppenpodest, ist leer.
Kaputtes System
So fühlt man sich dann doch auf schwankendem Boden. Allmählich begreift man, dass die Frau die ganze Zeit mit Gott spricht, die dessen Sohn empfangen und wieder verloren hat (da bildet sie mit dem Tuch eine Pietà). Unabhängig davon, was wahr ist und was Einbildung, erzählt der Monolog von einem kaputten System, in dem ein fehlendes soziales Netz Menschenhandel ermöglicht und die Kirche dazu lächelt und schweigt.
Ist die Rolle der Frau also der Schlüssel für den Weg Richtung Westen? Dafür spricht einiges in einem Land, in dem der Kontrast liberale Stadt und konservatives Land noch viel stärker ausfällt als anderswo. Und in dem ein möglicher Weg in die EU auch über eine andere Gesellschaftspolitik führt.
Musik: Gabiskiriamalia, Bühne und Kostüme: Nino Goderidze (God Era), Video: Ana Gzirishvili, Ton: Giorgi (Makkari) Gogoladze, Übertitel: Sergey Fadeev.
Mit: Tamara Chumashvili, Gvantsa Enukidze, Masho Makashvili.
Gastspiel Open Space / Center for Visual and Performing Arts Tbilisi
Zwillinge
von Giorgi Maisuradze
Regie: Giorgi Maisuradze, Musik: Sandro Tediashvili, Technische Leitung: Beka Khachidze.
Mit: Sophio Zeragia.
Gastspiel Laboratory of Performing Arts
Programm
Zwinger 1
Theater und Orchester Heidelberg
Blaupause
Regie: Hannah Frauenrath
Zwinger 3
Deutschsprachiger Autor:innenwettbewerb I
13:30 Uhr
Die ersten hundert Tage von Lars Werner
14:30 Uhr
Brennendes Haus von Anaïs Clerc
16:00 Uhr
2x241 Titel doppelt so gut wie Martin Kippenberger von Frankfurter Hauptschule
Zwinger 1
Gastspiel Lichthoftheater Hamburg
JUDEN JUDEN JUDEN
von und mit Hamburger Jüd*innen und Texten von Simoné Goldschmidt-Lechner
Regie: Ron Zimmering und Dror Aloni
Uraufführung
Marguerre-Saal
Gastspiel Düsseldorfer Schauspielhaus
My Private Jesus
von Lea Ruckpaul
nach einer Idee von Eike Weinreich
Regie: Bernadette Sonnenbichler
Uraufführung
Alter Saal
Stückemarktparty
präsentiert von Zwinger x
Rahmenprogramm
Eintritt frei
Zwinger 3 und online
Deutschsprachiger Autor:innenwettbewerb Teil II
13:30 Uhr
Ghostbike von Julie Gurgonis
14:30 Uhr
DRUCK! von Arad Dabiri
16:00 Uhr
Kind aus Seide von Leonie Ziem
Gastspiel Theaterhaus Jena
Die Hundekotatacke
von Walter Bart, Hannah Baumann, Pina Bergemann, Nikita Buldyrski, Henrike Commichau, Linde Dercon, Leon Pfanenmüller, Anna K. Seidel / Wunderbaum
Regie: Walter Bart
Uraufführung
Alter Saal
Gastspiel Schauspielhaus Wien
Die vielen Stimmen meines Bruders
Es Stück für an- und abwesende Körper
von Magdalena Schrefel mit Valentin Schuster
Regie: Marie Bues und Anouschka Trocker
Uraufführung
Zwinger 3
Gastspiel Theater Bielefeld
else (someone)
von Carina Sophie Eberle
Regie: Nadja Loschky
Zwinger 1
Theater und Orchester Heidelberg
Blaupause
Regie: Hannah Frauenrath
Alter Saal
Gastspiel Junges Schauspiel – Düsseldorfer Schauspielhaus
Time to Shine
Tanz und Theaterspektakel von Takao Baba + Ensemble
Inszenierung für schwerhörige und taube Menschen
Marguerre-Saal
Gastspiel Schauspiel Stuttgart
forecast:oedipus
von Thomas Köck
Regie: Stefan Pucher
Uraufführung
Zwinger 3
Gastspiel Expanded Theater | Hochschule der Künste, Bern
FRONTSTAGE
Männlichkeit zwischen Spiel und Krieg
von und mit Polina Solotowizki, Bogdan Kapon und Ivan Borisov
Regie: Polina Solotowizki
Uraufführung
Alter Saal
Gastspiel Flinn Works (Berlin) & Asedeva (Dar es Salam)
von Ultimate Safai
Regie: Ultimate Safari
Deutsch / Englisch / Kisuaheli
Uraufführung
Alter Saal
Gastspiel Flinn Works (Berlin) & Asedeva (Dar es Salam)
von Ultimate Safai
Regie: Ultimate Safari
Deutsch / Englisch / Kisuaheli
Uraufführung
Zwinger 1
Gastspiel Theater Konstanz
Tragödienbastard
von Ewe Benbenek
Regie: Emel Aydoğdu
Marguerre-Saal
Gastspiel Schauspiel Hannover
Fremd
von Michel Friedmann
Regie: Stefan Kimming
Uraufführung
Zwinger 3
Theater und Orchester Heidelberg
Das Märchen von der kleinen Meerjungfrau 10+
sehr frei nach Hans-Christian Andersen von Roland Schimmelpfennig
Regie: Marcel Kohler
Mülheimer Kinderstückepreis 2023
Alter Saal
Gastspiel Theater Lübeck
BOMB
von Maya Arad Yasur
Regie: Sapir Heller
Zwinger 3
Gastspiel Turbo Pascal, Berlin
Common Things
von Angela Löer, Eva Plischke und Frank Oberhäußer
Regie: Angela Löer, Eva Plischke und Frank Oberhäußer
Uraufführung
Zwinger 1
Gastspiel Schauburg München
Erik*a 15+
mit Texten von Theresa Seraphin
Regie: Daniel Pfluger und Lukas März
Alter Saal
Gastspiel Landestheater Linz
Fischer Fritz
Regie: David Bösch
Marguerre- Saal
Gastspiel Schaubühne Berlin
In Memory of Doris Bither
von Yana Thönnes
Regie: Yana Thönnes
Uraufführung
Alter Saal
Stückemarktparty
mit Musik aus dem Gastland Georgien
Eintritt frei
Sprechzimmer
Gastspiel Laboratory of Perfoming Arts, Tblissi
Zwilinge
von Giorgi Maisuradze
Regie: Giorgi Maisuradze
Gergisch mit deutschen Übertiteln
Zwinger 3
Eröffnung Gastland-Programm Georgien
Zwinger 3
Internationaler Autor:innenwettbewerb
13:30 Uhr Der weiße Hund von Davit Khorbaladze
14:30 Uhr Terzett von Marita Liparteliani
16:00 Uhr Wer klopft von Alex Chigvinadze
Dezernat #16
Gastspiel Open Space, Tblissi
Greenhouse
von Gvantsa Enukidze, Tamara Chumashvili und Masho Makshvili
Georgisch mit deutschen Untertiteln
Alter Saal
Gastspiel Royal District Theatre, Tblissi
Medea s01e06
von Paata Tsikola
Regie: Paata Tsikola
Georgisch mit deutschen Übertiteln
Sprechzimmer
Theater in Georgien
u.a mit Gastland Kurator Davit Gabunia
Podiumsgespräch
Eintritt frei
Dezernat #16
Gastspiel Open Space, Tblissi
Greenhouse
von Gvantsa Enukidze, Tamara Chumashvili, Masho Makshvili und Elene Matskhonashvili
Georgisch mit deutschen Untertiteln
Zwinger 1
Gastspiel Georgian Regional Theatre Networks
Niko Nikoladze - Sergo Parajanov
von Elene Matskhonashvili, Tengiz Khukhia und Levan Khetaguri
Regie: Elene Matskhonashvili
Georgisch nmit deutschen Übertriteln
Marguerre-Saal
Gastspiel Deutsches Schauspielhaus Hamburg
Antropolis II: Laios
von Roland Schimmelpfennig
Regie: Karin Beier
Uraufführung
Alter Saal
Preisverleihung
Eintritt frei
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