Laura Naumann – Das hässliche Universum
Das beste Begräbnis aller Zeiten
Ein Gespräch mit Sapir Heller
April 2021. Während die Welt, wie wir sie kennen, untergeht, spielt eine Band ihr letztes Konzert. Laura Naumanns Das hässliche Univerum passt, wenngleich schon 2017 uraufgeführt, ausgezeichnet in unsere pandemische Gegenwart. Sapir Heller hat das Stück am Münchner Volkstheater inszeniert.
Sapir Heller, was hat Sie an Laura Naumanns "Das hässliche Universum" besonders interessiert?
Sapir Heller: Wir haben uns im ersten Lockdown auf die Suche gemacht nach einem Stück, das mit den neuen Abstandsregeln umzusetzen war. Und als ich auf „Das hässliche Universum“ gestoßen bin, dachte ich: Wow, eine Vision vom Ende der Welt, wahnsinnig atmosphärisch – und dazu diese kraftvolle Sprache! Und obwohl es fast drei Jahre alt war, steckten die ganzen Unsicherheiten darin, die uns gerade beschäftigten. Die Fragen, wie es weitergeht mit dem Privatleben, mit der Kulturszene und generell mit der Gesellschaft.
Mit welchem Konzept sind sie dann in die Proben gegangen?
Sapir Heller: Ich habe dieses Stück inszeniert, wie ich zuvor noch nie inszeniert habe und wusste vor der ersten Probe nur, dass ich es als Konzert machen wollte und als eine Art Abrissparty. Weil die Aussicht, dass morgen möglicherweise die Welt untergeht, Fragen provoziert wie "Was wollte ich schon immer mal machen oder sein?" oder "Was muss die Welt noch unbedingt von mir sehen und hören?" habe ich diese Fragen an die Schauspieler weitergegeben und wollte, dass wir uns als Team an ihnen abarbeiten.
Bei Julia Hölschers Frankfurter Uraufführung des Stücks standen die Schauspieler am Anfang zu Streicherklängen als Untote am offenen Grab unserer Welt - in fleischfarbenen Kostümen voller Brandwunden. Und fast eine Stunde lang mäanderte der Text ohne klare Zuordnung zu den Menschen aus dem Off über die Bühne. Ihre Inszenierung ist in vielem das genaue Gegenteil: Eine lustbetonte Jam-Session, bei der es vier Popikonen-Lookalikes zum final countdown nochmal richtig krachen lassen. Wie ist es zu diesem konkreten, aber sich von jedem Naturalismus distanzierenden Setting gekommen?
Sapir Heller: Manche Passagen dieses Textes liest man und hat sofort das Gefühl, dass sie einer bestimmten Person zuzuschreiben sind. Ich sage bewusst nicht "Figur", weil Laura Naumann eher von Menschen erzählt als Figuren zu kreieren. Andere Passagen wiederum sind sehr abstrakt. Das wollte ich auch auf andere Bereiche übertragen. Das Frida-Kahlo-Kostüm ist konkret, aber Nina Steils, die in ihm steckt, spielt nicht Frida Kahlo. Da ist eine Riesenkluft zwischen dem, was die Schauspieler spielen, sprechen und singen und wie sie aussehen, weil ich genau die Zwischenräume spannend finde zwischen dem inneren Persönlichkeitskern und dem, was ich vielleicht gerne gewesen wäre im Leben – oder dem äußeren Bild von sich, das heute viele Leute in den sozialen Medien kreieren. Auch in den Songs, die wir covern und von denen keiner auch nur entfernt so klingt wie das Original, geht es um diesen Konflikt.
Sie werden zerdehnt, zerlegt, gebrüllt oder auf andere Weise verfremdet. Und dabei kommt eine Wahnsinnsenergie über die Rampe, aber auch das Gefühl der Freiheit frei nach Pippi Langstrumpfs "Ich mach mir die Welt, widdewidde wie sie mir gefällt".
Sapir Heller: Total. Wir haben auch viel gelacht bei unseren „Jam-Sessions“, die wir tatsächlich sowohl musikalisch als auch spielerisch hatten. Selbst im Endprodukt ist vieles noch komplett improvisiert, aber natürlich immer innerhalb bestimmter Regeln. So müssen sich die Schauspieler zum Beispiel sehr aufeinander konzentrieren, wenn sie vierstimmig a cappella singen. Und nicht nur der ohnehin schon stark rhythmisierte Text und die Songs, sondern auch die Szenen sind fast musikalisch durchkomponiert von mir, mit einem sehr genauen Timing, harten Lichtwechseln und Drehungen auf den Punkt. Und da die Figurenzuordnung auch bei uns ständig wechselt, habe ich versucht, dem Zuschauer ein paar Motive zur Orientierungshilfe zu geben, indem etwa die eine Figur schnipst, die andere dauernd dazwischenschreit und die nächste immer ins Mikro spricht. Damit ist jede Figur wie ein Instrument in dieser Partitur. Aber innerhalb dieses Korsetts haben die Schauspieler das Gefühl, alles machen zu können. Deshalb mögen auch alle vier diese Arbeit sehr und auch ich schaue mir fast jede Vorstellung an. Auch wenn die Schauspieler das sicher nervig finden.
Hat Laura Naumann Ihre Version schon gesehen?
Sapir Heller: Leider nicht, aber wir haben anfangs telefoniert. Weil der Verlag darauf bestehen wollte, dass fünf Menschen das spielen sollen und nicht vier, habe ich ihr unser Konzert-Konzept erklärt und die Gedanken dahinter. Die Partyatmosphäre, die wir zu erzeugen versuchen, ist ja fast das Gegenteil von dem, was rüberkommt, wenn man das Stück liest. Es gibt da etwa diesen Satz von LCD Soundsystem, den wir an mehreren Stellen des Stücks eingebaut haben: "If this is a funeral, let´s have the best funeral ever." Doch sie hat praktisch sofort gesagt, dass ich es unbedingt so machen soll und war ihrem eigenen Text gegenüber sehr entspannt, der aber ohnehin sehr spielerisch und offen ist.
Worin besteht für Sie der Reiz, mit Texten zu arbeiten, die eher Textflächen sind als Stücke mit Dialogen und klar konturierten Figuren?
Sapir Heller: Gute Frage. Ich merke mittlerweile ja selbst, dass ich das sehr viel mache. Es liegt wohl daran, dass der Mensch der auf der Bühne für mich singt, spricht und sich bewegt, mich mindestens genauso sehr interessiert wie die Figur, die er erzählt. Deswegen mache ich mir auch immer sehr viele Gedanken über die Besetzung und nehme nicht einfach die Schauspieler, die das Theater mir vorschlägt, sondern die, bei denen es funkt. Ich mag am Theater mit Menschen arbeiten. Ich mag auch als Zuschauerin Menschen in Aktion erleben. Und diese offeneren Textformen eröffnen mir als Regisseurin viel mehr Freiheiten, diese Menschen zur Erscheinung zu bringen.
We will rock you! Nina Steils, Anne Stein, Vincent Sauer, Silas Breiding © Arno Declair
Jetzt haben wir so viel über Freiheit gesprochen, die die Menschen in diesem Stück hauptsächlich dafür nutzen, wie die Lemminge einem Phantom namens Rosa nachzulaufen, das nur eine Botschaft verkündet: "Alles muss brennen!" Wie passt das zusammen?
Sapir Heller: Rosa ist so ungreifbar und unkonkret wie die Popkultur selbst und gleichzeitig ist sie alles; eine leere Leinwand, in die alle alles mögliche hineinprojizieren können. Sie sagt immer nur, was ihr nicht gefällt. Und darin finden sich ganz viele Menschen mit ihren Problemen wieder, ob das die alleinerziehende Mutter im Sinnvakuum ist oder der Nachbar, der versucht, politisch aktiv zu sein. So schafft sie es, die Leute mitzureißen und am Ende etwas vielleicht Schreckliches zuzulassen: die Welt zu verbrennen. Ich sage absichtlich "vielleicht schrecklich", weil es gleichzeitig auch ganz toll ist.
Inwiefern?
Sapir Heller: Weil darin dieses Gefühl der Befreiung steckt, das Gefühl, etwas ganz Neues zu schaffen. Nach dem Motto: Lass uns kein weiteres Stück vom Kuchen nehmen, sondern lieber gleich einen neuen Kuchen backen!
Sie verstehen also den Weltenbrand nicht als letzte Konsequenz aus geistiger Brandstiftung und Fake-News-Produktion, wie sie "Rosa" und der populistische Influencer "Engagierter Bürger" anzetteln, sondern eher als revolutionäres Probehandeln nach dem im Stück ausgegebenen Motto: "Es ist leichter, sich das Ende der Welt vorzustellen als das Ende des Kapitalismus"?
Sapir Heller: Das ist schon ein Schlüsselsatz im Stück. Und dafür ist die Kunst ja auch da. Im Übrigen ist auch die Verbrennung der Welt nur ein Gedankenspiel. Es heißt im Text: "Ich sehe nach oben und setze dem Haus eine kleine flammende Krone auf. Ich mache eine Lichterkette aus einer Reihe am Bordstein entlang geparkter Autos. Ich mache Laternen zu riesigen Fackeln, ich flambiere Obst, Schuhe, Mülltonnen, Waffeleis." Das ist so schrecklich und schön wie eine Naturkatastrophe, die ja auch ästhetische Bilder erzeugt, die einen erschüttern und zum Nachdenken zwingen. In diesem Fall über Fragen wie: Wie würde ich handeln? Würde ich jemandem wie Rosa folgen? Und wie stelle ich mir die Zukunft vor? Wenn man diese Fragen mit nachhause nimmt, haben wir als Theater unser Ziel erreicht.
Das Interview führte Sabine Leucht.
Termin: Das hässliche Universum wird am 5.5. um 20:30 Uhr Live aus dem Münchner Volkstheater gestreamt. Tickets und Link via dringeblieben.de
Programm 2021
Theater Heidelberg
von Teresa Dopler
Regie: Ron Zimmering
Mit Nachgespräch
Theater Heidelberg
Deutschsprachiger Autor*innenwettbewerb Teil I
13:30 Uhr Einfache Leute
von Anna Gschnitzer
14:30 Uhr Gelbes Gold
von Fabienne Dür
15:30 Uhr Maria Magda
von Svenja Viola Bungarten
Anschließend Nachgespräche
Alle Lesungen danach on Demand verfügbar
Digitales Gastspiel
Wir haben getan, was wir konnten
von Tuğsal Moğul
Deutsches Schauspielhaus Hamburg
Anschließend Nachgespräch
Theater Heidelberg
Autor*innenwettbewerb Teil II
13:30 Uhr Fischer Fritz
von Raphaela Bardutzky
14:30 Uhr Hypnos
von Wilke Weermann
15:30 Uhr Peeling Oranges
von Patty Kim Hamilton
Anschließend Nachgespräche
Alle Lesungen danach on demand verfügbar
Theater Heidelberg
Harte Probe – 1001 Wege, sich die Krise schönzureden
Podiumsgespräch
Have a Good Day
von Vaiva Grainytė + Lina Lapelytė
Regie: Rugilė Bardzdžiukaitė
Operomanija, Vilnius
Anschließend Nachgespräch
Digitales Gastspiel
Erste Staffel. 20 Jahre großer Bruder
von Boris Nikitin
Staatstheater Nürnberg
Anschließend Nachgespräch
von Laura Naumnann
Regie: Sapir Heller
Münchner Volkstheater
von Lucien Haug
Regie: Suna Gürler
Zürcher Schauspielhaus
Anschließend Nachgespräch
Digitales Gastspiel
von und mit Julia Häusermann
Münchner Kammerspiele
Anschließend Nachgespräch
Theater Heidelberg
Autor*innenwettbewerb Gastland
13:30 Uhr Identify
von Leva Stundzyte
14:30 Uhr Mütter und Söhne
von Matas Vildžius
15:30 Uhr Immobiliendrama
von Gabriele Labanauskaite
Anschließend Nachgespräche
Live auf dringeblieben.de
Alle Lesungen danach on demand verfügbar
Regenland
von Aidas Giniotis und Ensemble
Regie: Aidas Giniotis
Teatras Atviras Ratas, Vilnius
Anschließend Nachgespräch
.